„ESG ist Auslegungssache” – Harry Odenthal im Interview mit einBlick

30. Mai 2022

Seit 1. Februar 2022 ist die nachhaltige Vermögensverwaltungsstrategie STAREN ÖkoStars über die Hansainvest und NFS Capital als globaler Aktienfonds gestartet. Das Hauptaugenmerk liegt darauf, qualitativ hochwertige Unternehmen zu finden, die in ihrer Nische einen regionalen und/oder innovativen Wettbewerbsvorteil besitzen und mit ihren Produkten und Dienstleistungen einen positiven Beitrag für Gesellschaft und Umwelt leisten. Rein regulatorisch wird der Fonds laut Prospekt nach ökologischen und sozialen Kriterien verwaltet und unterliegt somit den strengen ESG-Richtlinien gemäß Art. 8 Abs. 1 der EU-Verordnung.

einBlick befragte Harry Odenthal, der gemeinsam mit seinem Co-Manager Rainer Kleefuß den STAREN ÖkoStars verantwortet, nach der konkreten Umsetzung seiner Nachhaltigkeitsstrategie in die Praxis.

einBlick: Können Sie uns kurz erläutern, wie Sie auf die Idee der ÖkoStars-Strategie kamen und warum Sie den Ökostars-Fonds aufgelegt haben? Gibt es nicht schon genügend nachhaltige Investmentmöglichkeiten auf dem Markt?

Harry Odenthal: Die ÖkoStars-Idee wurde bereits 2010 geboren und über die Jahre weiterentwickelt. Am 15. November 2017 wurde die Strategie für unsere Vermögensverwaltungskunden über die NFS Hamburger Vermögen erfolgreich freigeschaltet bzw. platziert. Von der Erstaufstellung des ÖkoStars-Portfolios mit 20 Aktienpositionen als Musterdepot im Jahr 2013 bis zur finalen Platzierung Ende 2017 in der Vermögensverwaltung der NFS Hamburger Vermögen konnte die Strategie bereits eine Performance von gut 360 Prozent erwirtschaften, die von der Hamburger Vermögen in einem Backtesting über ihr Morningstar-Datenbanksystem nachgewiesen wurde. Bisher konnten unsere Kund*innen erst ab einem Anlagevolumen von 50.000 Euro in das ÖkoStars-Portfolio investieren. Aus dieser Hürde wurde die
Idee geboren, die Strategie durch einen Fonds auch kleineren Beträgen und Sparplänen zu öffnen. Die Umsetzung wurde durch die Netfonds AG und NFS Capital ermöglicht.

einBlick: Das heißt, die Ökostars-Strategie, die erst ab 50.000 Euro Anlagevolumen investierbar ist, steht jetzt auch Kleinanleger*innen offen?

Odenthal: Die Auflage des Fonds greift im Grundsatz die Idee der VV-Strategie auf, mit dem Unterschied, dass das Anlagekapital gleichgewichtet auf 30 Aktienpositionen verteilt wird. Mit dem Fonds ist die Anlage jetzt jedem zugänglich – mit einem Einmalbetrag schon ab 1.000 Euro oder/und einem monatlichen Sparplan von 100 Euro kann er bei jeder Depotbank gekauft werden.

einBlick: Was heißt „Qualitätsunternehmen”? Das hört sich nach eher subjektiver Auswahl an.

Odenthal: Alle Unternehmen im Fonds haben einen „high quality growth trigger“. Das heißt, wir suchen nach einem Wettbewerbsvorteil (Stichwort: Burggraben), den jedes Unternehmen in der ÖkoStars-Strategie aufweisen sollte. Marktführende Unternehmen zeichnen sich durch eine hohe Nettomarge aus und sind im globalen Wettbewerb einem geringeren Preisdruck ausgesetzt. Unternehmen oder Technologien, welche ihren wirtschaftlichen Vorteil überwiegend aus politischen Abhängigkeiten, wie zum Beispiel Subventionen, ziehen, sind im ÖkoStars-Portfolio kaum vertreten bzw. aufgrund des Risikos untergewichtet.
Ein Beispiel hierfür ist die Wasserstoffindustrie – eine interessante Technologie, die ihre wirtschaftliche Tragfähigkeit aber noch nicht unter Beweis gestellt hat.

»Das ESG-Siegel ist kein alleiniges Qualitätssiegel für ein Produkt.«

einBlick: Die Auswahl der meisten nachhaltigen ESG-Fonds richtet sich in erster Instanz nach einem vorgegebenen ESG-Rating. Bedienen Sie sich für die ÖkoStars-Strategie auch aus dieser Grundmenge von Wertpapieren, oder wie müssen sich die Anleger*innen das vorstellen?

Odenthal: Das ist eine relevante und wichtige Frage. Es zeigt das Grundproblem des „Greenwashing“ auf, womit die Fondsindustrie politisch konfrontiert wird. Wir gehen mit der ÖkoStars-Strategie den umgekehrten Weg und fragen uns: Was ist das vordergründige Ziel der „Geldlenkungspolitik“, was die ESG-Regulierung ja letztendlich ist? Und: Was bezwecken oder was erwarten sich Investor*innen und Anleger*innen von einer ethischen, ökologischen und nachhaltigen Anlage? Das ESG-Siegel bietet zwar eine gewisse Orientierung, sollte aber keine alleinige Entscheidungsgrundlage für eine Anlage in einem Fondsprodukt sein. Und es ist definitiv kein Qualitätssiegel für ein Produkt. In vielen ESG-Fonds befinden sich eine bunte Auswahl an Unternehmen aus den verschiedensten Sektoren, die aufgrund des vorgegebenen ESG-Ratings eine vermeintliche Daseinsberechtigung in dem Portfolio haben.

einBlick: Zum Beispiel?

Odenthal: Bei genauerem Blick befinden sich in vielen ESG-Portfolios Softwareunternehmen, wie etwa Amazon oder Microsoft, oder die Chipindustrie, wie ASML, NVIDIA oder Infineon, oder Logistikunternehmen, wie Deutsche Post oder Moeller-Maersk! Es ist natürlich eine Auslegungssache des Fondsmanagements, ob diese Unternehmen in ein ESG-Portfolio mit eingebunden sein müssen, allein aufgrund eines positiven ESG-Ratings. Aber das ist meines Erachtens nicht zielführend und auch nicht unser Ansatz. Der politische, gesellschaftliche und finanzielle Druck wird zunehmen und die Anpassung ganzer Geschäftsmodelle erfordern. Unternehmen, die bei den Umwelt- und Sozialkriterien sowie einem fairen Umgang mit ihren Mitarbeiter*innen punkten, haben allein aus diesem Grund schon eine bessere Wettbewerbssituation. Diese Sektoren lassen sich sehr schön den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen zuordnen.

einBlick: Aber es gibt in diesen Sektoren auch Unternehmen, die nicht ESG-zertifiziert sind, obwohl sie eine positive Auswirkung auf unsere Umwelt und Gesellschaft haben. Nicht alle Unternehmen, die nachhaltig und ökologisch wirtschaften und ethisch korrekt handeln, sind ESG-zertifiziert.

Odenthal: Und hier hilft uns das ESG- und SDG-Scoring der ISS-oekom-Datenbank, die aus der Auswahl unserer Aktienselektion für den Fonds solche herausfiltert, die mit einem schlechten Rating auffallen. Für die Profis zusammengefasst heißt das, es sind nur solche Aktientitel erwerbbar, die ein ESG-Rating von Prime -2 haben und zusätzlich einen SDG Solution Score von über 2 aufweisen. Darüber hinaus wird die Gesellschaft keine Titel von Unternehmen erwerben, die einen SDG Sol-Overall-Score aufweisen, der 0,1 oder schlechter ist. Hierdurch ist sichergestellt, dass die Gesellschaft für den Fonds nur Titel von Unternehmen erwirbt, die mindestens einen geringen Beitrag zu den Sustainable Development Goals (SDG) der UN leisten.

»Was grün, ökologisch, nachhaltig und ethisch korrekt ist, ist letztendlich auch Ansichtssache und persönliche Philosophie.«

einBlick: Warum lassen sich nicht alle Unternehmen ESG-zertifizieren, die sich gegenüber der Umwelt, ihrem sozialen Umfeld und ihren Mitarbeiter*innen fair und nachhaltig verhalten?

Odenthal: Gegenfrage: Haben die Karotten aus Ihrem Garten ein Bio-Siegel? Wahrscheinlich nicht, obwohl sie alle Kriterien erfüllen würden. Bei dem ESG-Siegel verhält es sich ähnlich. Einige Unternehmen sind einfach zu klein, weshalb aus mangelnder Datengrundlage keine Zertifizierung möglich ist, wie zum Beispiel die FRoSTA AG. Andere Unternehmen scheuen den finanziellen und administrativen Aufwand oder haben eine Zertifizierung einfach nicht nötig. Es gibt allerdings auch Unternehmen, die aufgrund punktueller Verstöße gegen ESG-Regeln – teilweise temporär – aus dem Raster fallen. Tesla ist ein aktuelles Beispiel, nachdem das Unternehmen durch Menschenrechtsverletzungen in einem chinesischen Werk aufgefallen ist. Aus diesem Grund ist Tesla auch nicht im Fonds enthalten. Da die Anlagephilosophie des Fonds auf langfristigen Investments beruht, wird aber nicht bei jedem negativen Rating gleich das Unternehmen verkauft. Aus diesem Grund gibt es bei den gesetzlichen Vorgaben in einer umfassenden Portfolioallokation auch „weiche Kriterien“, die hier ein wenig Spielraum lassen.

einBlick: Und wie kann es umgekehrt sein, dass Unternehmen ESG-zertifiziert sind und Ihren Ansprüchen nicht genügen?

Odenthal: Das ESG-Siegel, wie diverse Bio-Zertifikate auch, basiert auf einer Art Punktesystem. Durch Greenwashing kann man dann schon auf ESG-Status kommen. Viele Unternehmen sehen grüner aus, als sie in Wirklichkeit sind – und umgekehrt. Der ESG-Score ist
wie bereits beschrieben ein Kriterium in meiner Entscheidungsfindung, aber nur eines von fünf. Was grün, ökologisch, nachhaltig und ethisch korrekt ist, ist letztendlich auch Ansichtssache und persönliche Philosophie. Ich schaue seit den 2000er-Jahren hinter die Kulissen und habe tiefgründige Branchenerfahrung und Kenntnisse sehr vieler Firmen. Jede*r Anleger*in und Investor*in kann die Entscheidungsgrundlage für die Auswahl der im Portfolio befindlichen Unternehmen gut nachvollziehen, muss aber natürlich nicht unbedingt meiner Meinung sein. Aber dafür hat er oder sie „reinen Wein“!

»Anleger:innen wollen neben einer guten Rendite natürlich auch wissen, dass ihr Geld einen positiven Effekt auf Gesellschaft und Umwelt hat.«

einBlick: Stichwort Branchen – Sie fokussieren sich auf ganz bestimmte Sektoren im ÖkoStars?

Odenthal: Das ist korrekt. Und zwar orientiert sich jeder Sektor in direktem Zusammenhang mit einem der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Agenda 2030). Die zehn Sektoren, die im Fonds abgebildet werden, reichen von ökologischem Lebensmittelanbau und der -verarbeitung über regenerative Energiegewinnung, Wasserversorgung/-reinigung/-aufbereitung, Diagnostik und Bioanalytik bis hin zu Bildung und Sicherheit, Gesundheit und Pflege, und auch das Thema umweltfreundliche Abfallentsorgung und Recyclingmethoden werden durch interessante und innovative Unternehmen im Fonds abgedeckt.

einBlick: Schon im Energiesektor gibt es große Meinungsverschiedenheiten. Wie gehen Sie mit Themen wie Atomenergie (Stichwort: Frankreich), Erdgas (Stichwort: Nord Stream) oder gar Windenergie (Stichwort: Windräder) um?

Odenthal: In der Tat kann man in vielen Fällen keine 100-prozentige Entscheidung fällen. Viele Themen haben mehrere Facetten, sind nicht eindeutig als gut oder schlecht einstufbar. Wir haben klare Ausschluss- und Bewertungskriterien für die Entscheidungsfindung für das ÖkoStars-Portfolio.

einBlick: Das erfordert extrem großen Aufwand für fundamentale Analysen. Die Informationen hinter den Kulissen der Unternehmenspräsentationen und Geschäftsberichten ist nicht leicht zu finden und zu interpretieren.

Odenthal: In 30 Jahren Börsenerfahrung, insbesondere mit nachhaltigen Investments, beobachten wir relevante fachspezifische Tendenzen und Trends in den jeweiligen Branchen. Natürlich ist die Fundamentalanalyse der Unternehmen nach wie vor eine wichtige Hausaufgabe.

einBlick: Gerade in Bereichen wie Energiegewinnung, Transport und auch Biotechnologie ist die Entwicklung rasant. Großes Potenzial steckt teilweise in sehr jungen Firmen und Technologien. Tesla ist keine 20 Jahre alt, schon knapp 12 Jahre börsennotiert und hat eine Bewertung in Höhe der übrigen Top Ten der größten Autohersteller zusammen.

Odenthal: Das ist richtig und eine spannende Herausforderung, da – bei aller Liebe zu inhaltlichen Werten der ÖkoStars-Strategie – natürlich auch die Rendite stimmen muss. Auch wenn wir bei den ÖkoStars weitestgehend auf spekulative Werte verzichten, haben wir immer ein Auge auf aktuelle geschäftliche Entwicklungen. Sobald sich Unternehmen mit soliden Geschäftsmodellen am Markt beweisen und die genannten Kriterien erfüllen, landen sie in der engeren Auswahl.

einBlick: Das klingt spannend, sowohl inhaltlich als auch ertragstechnisch. Wir werden wohl noch einiges von den ÖkoStars hören!

Odenthal: Eine aktive und sehr transparente Außenkommunikation wird ein integraler Teil des Fonds sein. Natürlich wollen Anleger*innen eine gute Rendite erzielen. Aber es besteht bei vielen Anleger*innen auch großes Interesse, ihr Geld mit gutem Gewissen anzulegen und zu wissen, dass ihr Geld einen positiven Effekt auf unsere Gesellschaft und Umwelt hat. Ich hoffe, dadurch viele Anleger*innen erreichen zu können und auch Berater*innen und Kolleg*innen innerhalb des Netfonds-Netzwerks zu helfen, ihre Kund*innen durch konstante Kommunikation über diverse Kanäle immer auf dem neuesten Stand zu halten.

 

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